Kein unlösbares Problem
Die Zementindustrie zählt zu den CO2-intensivsten Industrien der Welt – Tendenz steigend. Denn durch die wachsende Weltbevölkerung wird der Bedarf an Beton im Jahr 2050 3,8 Milliarden Tonnen CO2 verursachen – etwa 100-mal so viel wie der gesamte jährliche CO2-Ausstoss der Schweiz. Lange Zeit galt Zement als kaum dekarbonisierbar, da die Hauptquelle der CO2-Emissionen der chemische Prozess (Kalzinierung) bei der Herstellung des Klinkers im Zement ist – und dieser galt lange als unersetzbar. Heute gibt es jedoch Zement, der ganz ohne Klinker auskommt. Dies zeigt, dass das Problem lösbar und eine Frage der richtigen Anreize ist – und nicht der technologischen Grenzen.
Tiefe Preise, wenig Anreize
Die Zementherstellung bringt den Unternehmen nur geringe Gewinnmargen und erfordert hohe Investitionen in Werke, Logistiknetze und die Einhaltung von Qualitätsnormen. Zudem wird Zement kaum über die Kontinente hinweg transportiert – dafür ist er zu schwer. Dies förderte über Jahrzehnte die Konsolidierung zu wenigen, grossen Playern, die den Markt beherrschen. Besonders in Europa.
All dies verhinderte lange Zeit Fortschritte in der Dekarbonisierung. Vor neuen Wettbewerbern muss man sich kaum fürchten. Auch der EU-Gesetzgeber übte wenig Druck aus und räumte den CO2-intensiven Industrien eine grosszügige Schonfrist durch die Verteilung kostenloser Emissionszertifikate im dreistelligen Milliardenbereich ein: Das ist mehr als was er durch den Emissionshandel einnahm. Auch Holcim erhielt beispielsweise im Jahre 2022 Zertifikate im Wert von 1.4 Milliarden Euro von der EU. Dieser Geldsegen förderte insgesamt jedoch eher den Status quo als den Wandel.
Es wäre weitsichtiger, die Nachfrage und den Marktzugang für nachhaltigen Zement zu fördern. In Europa haben die Niederlande und Irland bereits verbindliche Grenzwerte für CO2-Emissionen im Bau eingeführt. In der Schweiz werden einige Kantone 2026 gleichziehen. Die EU hat damit begonnen, neuartigen Zementen den Marktzugang zu ermöglichen. Dies ist ein wichtiger erster Schritt und bietet Anreize für die Industrie. Innovative Regeln auf allen Ebenen spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung von Innovationen und der erfolgreichen Transformation des Sektors.
Nachhaltigkeit als Kostensenker
Holcim, einer der weltweit grössten Produzenten, sieht in seiner CO2-armen Produktreihe die Zukunft – das war die Botschaft an die Investoren am Kapitalmarkttag 2025. Denn der höherpreisige, aber in der Herstellung günstigere, grüne Zement ist ein Weg, um sich von den niedrigen Margen im Zementgeschäft zu befreien. Der Ersatz von Klinker durch günstigen Lehm und erneuerbare Energien statt Öl und Gas spart Kosten. Gleichzeitig können für grünen Zement höhere Preise verlangt werden. Das klingt nach Win-Win. Doch diese Ansätze reduzieren die Emissionen lediglich, sie eliminieren sie nicht. Deshalb hoffen die grossen Zementhersteller auf eine andere Lösung: das sogenannte „Carbon Capture, Utilisation & Storage“ (CCUS) zu Deutsch „CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung".
Fragezeichen CCUS
Was jedoch weniger prominent kommuniziert wird: Der Einsatz von CCUS erhöht die Produktionskosten erheblich. Schätzungen zufolge um bis zu 50%. Die Idee dabei ist, das beim Kalzinierungsprozess anfallende CO2 abzusaugen, im Meeresgrund zu versenken oder weiterzuverkaufen. Dies ist sowohl technisch als auch politisch komplex: Viele Parteien müssen am selben Strang ziehen, damit alles funktioniert. Und es kostet viel Geld. Ohne grosse Subventionen der EU geht nichts, und selbst dann ist das Gelingen im industriellen Massstab nicht garantiert. Wie teuer wird es wirklich? Und wer garantiert, dass das CO2 tatsächlich eingefangen wird oder im Boden bleibt? So stellte sich kürzlich heraus, dass die älteste CO2-Speicheranlage des norwegischen Energiekonzerns Equinor über Jahre hinweg die abgeschiedene CO2-Menge bis um das Zehnfache zu hoch angegeben hatte. Unter Experten scheint unbestritten, dass die CCUS-Technologie künftig eine Rolle spielen wird. Doch sie darf keinen Vorwand liefern, direktere Wege zur Dekarbonisierung zu vernachlässigen. Bei Holcim sollen 44% der Emissionen durch CCUS eliminiert werden. Das liegt deutlich über dem Mass, das der globale Zementverband vorsieht.
Ran an die Formel
Wir wünschen uns von Holcim mehr Fokus auf seine Kernstärke: Seine Innovationskraft für neue, bessere und sparsamere Baumaterialien. Die kürzlich enthüllte 2030-Strategie, sowie die Fülle und Vielseitigkeit neuer Produktlancierungen und Fortschritte im Betonrecycling (plus 20%) oder die Entwicklung ultra-dünner, tragender Betonplatten stimmen uns zuversichtlich. Diese Innovationskraft muss sich nun auch in harten Zahlen widerspiegeln. Beispielsweise in der CO2-Intensität und dem im Branchenvergleich hohen Anteil des klimaschädlichen Klinkers (72%). Holcim will diesen mit einer an der EPFL entwickelten Innovation (LC3) zur Hälfte mit Lehm ersetzen. Das ist eine gute Nachricht, doch das produzierte Volumen ist mit rund einem halben Prozent der Gesamtkapazität noch sehr gering. Andere Hersteller, andere Märkte und nicht zuletzt die Wissenschaft zeigen, dass noch viel Luft nach oben ist: So will eine Gruppe renommierter Forschungsstätten – darunter die EPFL – zeigen, dass eine Reduktion des Klinkeranteils auf 40% bis 2030 möglich ist, ohne dass es zu Qualitätseinbußen kommt. Ziehen Gesetzgeber und Bauindustrie mit, ist die Dekarbonisierung der Zementindustrie auch ohne CCUS möglich.
Publikation: August 2025
Quellen: SVVK-ASIR (2025), Holcim (2025), Boston Consulting Group (2024), DeSmog (2025), Global Cement and Concrete Association (2025), McKinsey & Company (2016), Our World in Data (2025), Sandbag (2016), Strategic Analysis Hub (2025). Bild: Holcim.