Kulturwandel bei Rio Tinto
Im Mai 2020 zerstörte das Bergbauunternehmen Rio Tinto ein über 46'000 Jahre altes Höhlensystem auf dem Land der Aborigines in der Juukan-Schlucht, Westaustralien. Wie konnte es so weit kommen und wie lässt sich ein solcher Vorfall künftig verhindern? Diese Fragen standen im Zentrum des Engagement-Dialogs des SVVK und am Anfang eines grundlegenden Kulturwandels bei Rio Tinto.
Die Juukan-Schlucht im Nordwesten Australiens ist bekannt für ihre einzigartigen Höhlen. Ihre Besiedelung durch den Menschen reicht bis in die späte Eiszeit vor mehr als 46‘000 Jahren zurück und macht sie damit zur ältesten kontinuierlich bewohnten Stätte und archäologisch von einzigartiger Bedeutung. Für die traditionellen Besitzer, die indigenen Völker Puutu Kunti Kurrama und Pinikura, sind sie eine heilige Stätte und dienten ihnen als Rückzugsort – bis zum Mai 2020, als mehrere Explosionen die Haupthöhlen zerstörten. Der Grund: Rio Tinto, das zweitgrösste Bergbauunternehmen der Welt, erweiterte seine Minen, um neue Eisenerzvorkommen zu erschliessen.
Weltweites Unverständnis
Obwohl die Sprengungen formal legal waren, nutzte Rio Tinto die schwache Rechtslage aus, die Einspracherechte der indigenen Völker stark beschnitt. Die Auslöschung des Kulturerbes löste weltweit Empörung aus und auch aus den Reihen der Aktionäre hagelte es harsche Kritik. Unter dem Druck der Öffentlichkeit traten hochrangige Manager zurück, das Unternehmen räumte einen gravierenden Fehler ein und wurde gerichtlich angewiesen, die zerstörte Stätte - soweit möglich - wieder aufzubauen.
Auch aus Sicht des SVVK stellte das Vorgehen des Bergbaukonzerns mit Sitz in Melbourne und London eine potentiell schwere Normenübertretung dar. Während sich die Gerichte um die Reparationszahlung kümmerten, stellte sich für die Investoren die Frage nach der Zukunft: Was muss sich bei Rio Tinto ändern, damit sich so etwas nie mehr wiederholt?
Die Kluft zwischen Ambition und gelebten Werten
Die Antwort schien umso schwieriger, da das Unternehmen in Bezug auf Menschenrechte bisher als «guter Schüler» seiner Branche galt. Doch gab es eine Kluft zwischen Ambition und gelebten Werten. Der Vorfall in der Juukan-Schlucht war ein Symptom einer tief verwurzelten Geringschätzung der Aborigines und ihrer vielfältigen Kulturen, der ältesten bis heute lebendigen Kulturen der Welt.
Gemeinsam mit seinem Partner Sustainalytics nahm der SVVK im November 2020 den Dialog mit dem Bergbaukonzern auf. Die Investorenvertreter forderten nicht nur eine Kompensation für die indigenen Völker, sondern auch glaubwürdige Zeichen für eine neue Kultur, die die Interessen der indigenen Bevölkerung konsequent berücksichtigt.
Am 26. Oktober 2023 um 17:00 Uhr Ortszeit, fand das abschliessende Treffen in London statt und der Dialog wurde für erfolgreich beendet erklärt. Was erlaubte dieses Fazit? Im Jahr zuvor hatte Rio Tinto eine Einigung mit den betroffenen Völkern zum Wiederaufbau der Stätte und die Einrichtung eines von ihnen verwalteten Bildungs- und Kulturfonds erzielt. Auf Vorstands- und Managementebene wurden die Zuständigkeiten für Menschenrechtsfragen festgelegt und finanzielle Anreize geschaffen. Auch der neue CEO, Jakob Stausholm, wurde in die Pflicht genommen und seine Bonuszahlung an den Abschluss der Reparations- und Reformmassnahmen im Zusammenhang mit der Juukan-Schlucht gebunden.
Indigene Kultur verstehen
Um die verheerenden Fehler der Vergangenheit in Zukunft zu vermeiden, musste Rio Tinto auch an den tieferen Ursachen ansetzen. 2022 veröffentlichte das Unternehmen einen Bericht unabhängiger Experten, die die Arbeitskultur untersucht hatten. Sie stellten systematischen Rassismus gegenüber indigenen Arbeitnehmenden durch Vorgesetzte und eine weitverbreitete Kultur der Belästigung fest. Der Bericht war gravierend, aber seine Veröffentlichung zeugte von einer neuen Offenheit des Unternehmens und deutete auf eine ernsthafte Bereitschaft zur Veränderung hin.
Rio Tinto begann damit, das kulturelle Bewusstsein der Mitarbeitenden zu schärfen und Anreize neu zu gestalten. Führungskräfte, insbesondere diejenigen, die für die Minen verantwortlich sind, sollten die indigene Kultur durch den persönlichen Kontakt mit Menschen aus ihrem Ort besser verstehen lernen. Sie sollten langfristig gute Vereinbarungen mit indigenen Gruppen anstreben und neue Bergbauprojekte nicht mit der Aussicht auf kurzfristige wirtschaftliche Vorteile erkaufen. Die vielleicht wichtigste Massnahme ist eine gezielte Förderung indigener Arbeitnehmender. Angesichts der dokumentierten Benachteiligung und Geringschätzung der indigenen Kultur, ist die Vertretung von Indigenen in Führungspositionen langfristig zentral. Das scheint Rio Tinto zu erkennen.
Wie jedes Unternehmen agiert auch Rio Tinto nicht in einem Vakuum und die Geringschätzung indigener Kultur reicht weit in die Gesellschaften hinein, in denen es tätig ist. Das Unternehmen hat durch seine Reaktion auf den Vorfall deutlich gemacht, dass es sich der erheblichen Risiken bewusst und gewillt ist, einen Wandel herbeizuführen. Auch wenn diese Entwicklungen langsam vonstatten gehen und nicht gradlinig verlaufen werden, ist die bisherige Gründlichkeit der Aufarbeitung ein gutes Zeichen. Der SVVK ist deshalb zuversichtlich, dass Rio Tinto bereit ist, seine gelebten Werte und seine Ambitionen schrittweise anzunähern.
Quellen: SVVK-ASIR (2024), Sustainalytics (2023), Reuters (2022), S&P Global (2022), Rio Tinto Independent Cultural Heritage Management Audit (2023), Rio Tinto: Juukan Gorge (2024). Bild: Eisenerzbergwerk in der Pilbara Region, Westaustralien (mino21, Adobe Stock).