Verantwortung endet nicht an der Konzerngrenze
Seit Jahren wird die französische Bolloré-Gruppe beschuldigt, seine Aufsichtspflicht in Bezug auf Menschrechtsverletzungen rund um Kautschuk- und Palmölplantagen in Afrika und Asien nicht wahrzunehmen. Aufgrund mangelnder Dialogbereitschaft zu diesem Thema hat der SVVK entschieden, das Unternehmen zum Ausschluss zu empfehlen.
Bolloré ist ein französischer Mischkonzern, der in verschiedensten Geschäftsfeldern tätig ist, darunter Logistik, Energie, Werbung, Verlagswesen und TV («Canal+»). Das von der Familie Bolloré kontrollierte Unternehmen ist auch einer der Hauptaktionäre der luxemburgischen Socfin Group, welche Kautschuk- und Palmölplantagen in Zentral- und Westafrika sowie in Südostasien betreibt.
Vertreibung und Gewalt
Seit über einem Jahrzehnt werden der auch in der Schweiz ansässigen Socfin vorgeworfen, auf schwere Weise gegen Menschenrechte zu verstossen. Die Vorwürfe lauten, dass die Plantagen in Liberia, Sierra Leone, Nigeria, Kamerun und Kambodscha systematisch die Landrechte der einheimischen Bevölkerung verletzen. Ganze Dörfer mussten den Plantagen weichen und die rechtmässigen Besitzer wurden teilweise gewaltsam vertrieben. Das Leben auf den Plantagen ist zudem von Gewalt und sexueller Belästigung geprägt. Eine von Socfin in Auftrag gegebene Untersuchung im letzten Jahr bestätigte diese Anschuldigungen sogar grösstenteils.
Bolloré steht in der Verantwortung
Die OECD-Leitsätze, welche auch die Schweiz unterstützt, verpflichtet multinationale Unternehmen, innerhalb ihres Einflussbereichs die Menschenrechte zu schützen. Trotz der Klarheit des international anerkannten Standards sieht sich Bolloré bezüglich Socfin nicht in der Pflicht. Seit 2010 kam es deshalb wiederholt zu Beschwerden vor den Anlaufstellen der OECD, welche im Streit vermitteln. Doch bisher ohne Erfolg. Ein 2013 vereinbarter Aktionsplan wird 2014 für nicht umsetzbar erklärt. Eine Klage vor einem französischen Gericht, welche die Umsetzung erwirken will, ist hängig.
SVVK-Dialog zielt auf Prävention
Im Rahmen des periodischen Portfolio-Screenings stellte der SVVK eine mögliche Verletzung seiner normativen Grundlagen durch Bolloré fest. 2020 suchte der Verein via Sustainalytics einen Engagementdialog mit den Verantwortlichen. Dabei ging es den SVVK-Mitgliedern nicht darum, über das Vorgefallene zu urteilen. Als Investoren geht es ihnen die Verhinderung ähnlicher Fälle in der Zukunft. Konkret forderte der SVVK, dass Bolloré auf die Umsetzung der Menschenrechts-Richtlinien in seiner Einflusssphäre pocht. Insbesondere sollte das Unternehmen verlangen, dass Socfin die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung zu seinen Plantagenprojekten sicherstellt. Diese Zustimmung muss aus freien Stücken, vorgängig und gut informiert erfolgen (FPIC: «free, prior and informed consent»). Doch wie im Mediationsverfahren der OECD beharrte Bolloré auf seinem Standpunkt: Als Minderheitsaktionär von Socfin könne es nicht tätig werden.
Wenig stichhaltige Argumentation
Der SVVK erachtet diese Argumentation als wenig überzeugend: Die Einflussmöglichkeit im Sinne der OECD-Leitsätze wird als sehr hoch eingestuft. Die Bolloré-Gruppe hält nahezu 40 Prozent an Socfin, während 55 Prozent Hubert Fabri gehören, einem ehemaligen Bolloré-Vorstand und engen Vertrauten des gleichaltrigen Vincent Bolloré, Gründer und früherer VR-Präsident/CEO des gleichnamigen Unternehmens. Gemeinsam mit drei Söhnen bilden sie bis heute den Socfin-Vorstand (Socfin, Jahresbericht 2023). Die OECD-Leitsätze verlangen, dass ein Unternehmen Menschenrechte über seine Konzerngrenzen hinweg in seinem Einflussbereich schützt. Dieser umfasst alle Geschäftsbeziehungen, so auch Unternehmen, in die es investiert (OECD-Leitsätze, Kapitel II, Kommentar 17).
Ausschluss als letztes Mittel
Trotz zahlreichen Anläufen über mehr als drei Jahre zeigte sich Bolloré nicht bereit, seine Einflussmöglichkeiten zu thematisieren. Bolloré verharrt auf dem Standpunkt, dass seine Verantwortung an der Konzerngrenze ende. In der Folge hat der SVVK im Juni 2023 seinen Mitgliedern empfohlen, ihre Beteiligungen an Bolloré zu veräussern und bis auf Weiteres auf Investitionen zu verzichten.
SVVK offen für Dialog
Der SVVK wird die Aufhebung der Ausschlussempfehlung prüfen, sofern es während einem längeren Zeitraum zu keinen weiteren Normenverstössen kommt. Als zweite Bedingung muss ein Unternehmen darlegen, wie es Rechtsverletzungen in seiner Einflusssphäre – unabhängig der juristischen Konzerngrenzen – künftig verhindern wird. Denn wie die OECD-Leitlinien es erkannt haben, die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte […] «verwischen immer mehr die eigentlichen Unternehmensgrenzen». Es reicht deshalb nicht mehr, an der Konzerngrenze Halt zu machen. Der SVVK bleibt offen für einen Dialog mit Bolloré zu diesem Thema.
Quellen: SVVK-ASIR (2024), Sustainalytics (2023), OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen zu verantwortungsvollem unternehmerischem Handeln (2023), Socfin Annual Report 2023 (2024). Bild: Nahaufnahme eines Kautschuk-Baumstamms (Isuru Ranasinha, Unsplash).